Es grünt so grün...

Eine weitere rumplige Nacht vorbei. Und wieder fast nichts geschlafen. Im Gespräch mit den Leuten einer fidelen Reisegruppe aus Liechtenstein, die ebenfalls bis nach Irkutsk unterwegs ist, stelle ich fest, dass es nicht nur mir so geht. Eine Bettstatt, an der ständig gerüttelt wird, ist schlicht nicht das, was man sich unter „tüüfem gsundem Schlof“ vorstellt. Man ist sich sowas einfach nicht gewohnt. Und gewöhnt sich auch nicht daran. Deshalb sieht man auch untertags in vielen Kabinen Leute, die am Dösen sind und so versuchen, wenigstens quantitätsmässig einigermassen auf ihre (Schlaf-)Stunden zu kommen. Recht so. Verpassen tut man eh nicht viel. Denn: Wenn man  nach einer Stunde Flachliegens die Augen wieder öffnet, läuft draussen noch immer der gleiche Film wie Stunden (und Tage) zuvor. Da drängt sich zwangsläufig die Frage auf: Was ist denn nun eigentlich der Reiz, mit einem Zug während Tagen oder sogar Wochen durch die immergleiche Landschaft zu fahren? Eine Frage, die ich mir schon am zweiten Tag der Abfahrt ab Moskau gestellt habe. Die Landschaft kann es eigentlich nicht sein. Die hat man irgendwann gesehen, und sie verändert sich nicht. Jedenfalls nicht wesentlich. Eine Birke bleibt eine Birke. Und eine Föhre eine Föhre. Auch nach 2000 Kilometern. Es muss also etwas anderes sein. Und das ist es auch: es ist der Zug selber. Dieser metallene Bandwurm, der einen durch diese weite offene Landschaft befördert und in dem sich Menschen unterschiedlichster Herkunft begegnen...  begegnen müssen. Einander ausweichen ist zwar nicht unmöglich, aber schwierig. Zwangsläufig. Die schmalen Gänge der Wagons geben den Ausgangsrayon vor. Und dann passiert ‚es’ eben: wildfremde Leute fangen an, miteinander zu reden. Über Gott und die Welt, über Politik und Wirtschaft, über die Oberen und die Unteren. Und über diejenigen dazwischen. Und – natürlich! – auch über die Birken und die Föhren und das, was sonst noch am Fenster vorbeizieht. Manchmal ernst, manchmal heiter, zuweilen mit Händen und Füssen und ganz ohne Scheu vor sprachlichen Barrieren - ich denke, das ist es, was ‚ihn’ ausmacht, den Reiz einer Reise in und mit der Transsib.  Eigentlich nur schade, dass mein neuer Vladimir nicht daran teilnehmen will. Seine Welt ist irgendwie zweidimensional: entweder er schläft oder er taucht mit seinem Computer ab in die virtuelle (Spiel-)Welt. Auch eine Möglichkeit... .

 

Ein Teil der Liechtensteiner Reisegruppe
Ein Teil der Liechtensteiner Reisegruppe

„Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen“. Und wenn er das mit einer Reisegruppe aus Liechtenstein tut, erst recht. So weiss ich heute, dass man als ‚echter’ Liechtensteiner (wobei es auch hier noch filigrane Unterschiede gibt), mit  allen per „Du“ ist. Selbst mit dem Regierungs-Chef und dem Fürsten im Schloss oben. Deshalb sagt man in Liechtenstein zu allen „Hoi“. Das erleichtere einiges, weil man sich so keine Namen merken müsse, sagt mir Hans, mit dem ich schon des öftern zu tun hatte (weil wir amigs miteinander auf dem Gang die Ankunftszeiten des Zuges am nächsten Bahnhof studiert haben). Hans ist 70, pensionierter Messerschmied und mit seiner Frau Marlies und etwa einem Dutzend anderer Liechtensteiner auf der Transsib. Seit sie ihr Geschäft dem Sohn übergeben haben, sind sie immer mal wieder unterwegs in irgendeine Ecke der Welt. Und sie haben schon einige davon gesehen. Ich jedenfalls bin beeindruckt. Finde es super, wenn sich die Leute nach der Pension nicht aufs Ofebänkli zurückziehen, sondern in die (Reise-)Offensive gehen und die AHV auf den Putz hauen, um fremde Länder und Kulturen zu sehen. Der Gegenwert sei unbezahlbar, sagen sie übereinstimmend. Ausserdem halte einem das Reisen jung und geistig fit, fügt Piet bei. Piet gehört ebenfalls zur „Liechtensteiner Connection“ – obwohl er Holländer ist.  Es sei am Anfang nicht ganz einfach gewesen,  aber dank dem Umstand, dass er sich das „Hoi“ als erstes angeeignet habe, sei er mit den Leuten im Ländle sehr schnell klar gekommen. Und sie scheinbar mit ihm auch, fügt er mit einem verschmitzten Lächeln an. Kein Wunder, denke ich, bei Piets offener Art und seinem feinen Humor.

In Irkutsk trennen sich dann – vorerst jedenfalls – unsere Wege.  Der Mann, der mich am Bahnhof abholt drängt zur Eile. Ein flüchtiges „Tschau zamme“ auf dem Bahnsteig, dann bin ich bereits weg. Gopf nomoll,  so hab’ ich mir das eigentlich nicht vorgestellt. Zum Glück haben die „Liechtis“ das gleiche Ziel wie ich, und so sehe ich die sie eine gute Stunde später in Listwijanka, einem kleinen Dorf am Baikalsee wieder. Die Freude ist gross, und wir begrüssen uns wie alte Freunde ... mit einem simplen „Hoi“!

 

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