Das Herz der "Ever Charming"

Käptn Steinberg vor dem Herz der "Ever Charming" - einem 12-Zylinder-Dieselmotor mit über 90'000 PS
Käptn Steinberg vor dem Herz der "Ever Charming" - einem 12-Zylinder-Dieselmotor mit über 90'000 PS

Wenn die Kommandobrücke das Hirn eines Schiffes ist, dann ist die Maschine dessen Herz. Bei unserer „Ever Charming“ ist es ein Riesen-Monstrum aus massivem Stahl, mit Kolben, so gross wie zwei aufeinander gestellte Ölfässer. Tief unten, im Bauch des Schiffes, ein paar Meter über der Wasserlinie, produziert es in und mit seinen zwölf Zylindern mehr als 90'000 PS reine Kraft und treibt damit den riesigen, 6flügeligen Propeller an, der unseren Riesenkahn mit jeder Umdrehung acht Meter vorwärts schiebt. Das sind Zahlen, die man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Es ist fast unreal. Vor allem die gewaltigen Dimensionen sind es, die enorm beeindrucken. Der Maschinenraum beispielweise, nimmt eine Grundfläche von 40 auf 30 Metern ein. Was problemlos ausreichen würde, um hier zwei durchschnittliche Schweizer Einfamilienhäuser reinzustellen. Samt Garage und Gartensitzplatz. Wobei noch genügend Luft nach oben wäre – bei rund 45 Metern Raumhöhe. Der guten Ordnung halber sei aber erwähnt, dass es natürlich nicht nur der Hauptmotor alleine ist, der sich da unten breitmacht, sondern dass es da noch allerhand andere wichtige Apparate, Maschinen und Zusatzgeräte hat, die vonnöten sind, um so ein Schiff am Laufen zu halten. So zum Beispiel fünf massive Generatoren (zwei davon in der Grösse meiner Kammer), die den Strom für das ganze Schiff liefern. „Ohne Strom läuft hier gar nix. Die Generatoren sind so ausgelegt, dass sie die Stromversorgung auch dann sicherstellen, wenn das Schiff komplett, also mit über 8000 ‚stromfressenden’ Kühlcontainern beladen wäre.“, sagt der „Chief (der verantwortliche Maschinen-Ingenieur) so beiläufig, als würde er die Leistung eines Transformers einer Spielzeug-Eisenbahn beschreiben. Dabei sprechen wir hier von rund 180 Neben-, Zwischen- und Zusatz-Aggregaten wie Pumpen, Kompressoren, Lüftern, Gebläsen, Winden und was sonst noch so alles am Elektro-Netz hängt. „Im Endeffekt ist es jedenfalls so, dass der Stromverbrauch auf unserem Schiff gut und gerne an den einer Kleinstadt herankommt.“ Auch das kommt so beiläufig, als handle es sich um den Verbrauch einer Taschenlampe. Der Mann hat die Ruhe weg. – Doch zurück zum Haupt-Motor. Und zum (Treib-)Stoff, der das Riesen-Ding antreibt. „Läuft mit Schweröl“, sagt der Chief, „was im Grunde genommen der letzte Dreck ist, der noch übrig bleibt, wenn in der Raffinerie Benzin, Petrol und all die anderen teuren Flüssigkeiten rausdestilliert worden sind. Man könnte sagen, es kommt dem schwarzen Zeugs ziemlich nahe, das die Leute jeweils brauchen, um die Strassen zu reparieren.“  Eingekauft, sprich „gebunkert“ hat man das ‚schwarze Zeugs’ übrigens in Wladivostok in Russland – was zwar einen grösseren Umweg bedingte, sich aber trotzdem lohnte, weil’s dort um einiges billiger ist, als anderswo. Das Problem ist nun aber, dass der Motor mit diesem Schweröl nicht laufen würde. Es muss zuerst ‚pfannenfertig’ aufbereitet werden. Das macht man ‚inhouse’. Wozu es dann so spezielle Dinge wie Zentrifugalfilter und Pumpen und Wasserabscheider und Vorwärmer was weiss ich noch alles braucht. Jedenfalls geht das zähflüssige, honig-ähnliche Schweröl einen ziemlichen Weg, bis es schliesslich – flüssig genug und exakt 131 Grad warm – mit einem Überdruck von 300 bar (das ist 300 mal mehr als der normale Luftdruck) in den Zylinder eingespritzt wird und daselbst seine volle Wirkung entfalten kann. 130 Tonnen werden zurzeit pro Tag verfeuert, was offenbar wenig ist, weil wir im Moment lediglich mit 19 Knoten (rund 34 kmh) unterwegs sind. „Früher, als wir noch nicht sparen mussten und ‚volle Kanne’ fahren konnten, waren’s so gegen 200 Tonnen.“, erklärt der Chief, und ich meinte, bei dieser Aussage ein kleines Leuchten in seinen Augen gesehen zu haben... .

 

Bemerkung am Rande: auf dem Herstellerschild des Motors habe ich den Namen „SULZER“ gelesen und auf dem Turbolader die drei Buchstaben „ABB“! Da bläht sich doch die Brust eines aufrechten Schweizers vor Freude!

 

Technische Daten der „Ever Charming“

Typ: Container-Schiff

Baujahr: 2005

Länge über alles: 334 m

Breite: 42.8 m

Tiefgang: 24.6 m

Höhe (Mast oben / unten): 61,6 m / 58 m

Gewicht: 34500 t

Antrieb: Sulzer HSD-Dieselmotor mit 93'360 PS

Propeller: 6 Flügel; 8.84 m Durchmesser

Tagesverbrauch (full speed): 265 t

 

Fassungsvermögen:

Unter Deck: 3871 TEU (20’-Container)

Auf Deck: 4213 TEU

Max. Stapel (tiers) unter Deck: 9

Max. Stapel (tiers) auf Deck: 7

Anzahl Reihen (rows) unter Deck: 15

Anzahl Reihen (rows) auf Deck: 17

Anzahl Breiten (bays) auf Deck: 19

 

Und zum Schluss noch ein paar Zahlen zum Stromverbrauch:

1575 kW ist der Grundbedarf des Schiffes im sogenannten "Hotelbetrieb", das heisst ohne Kühlcontainer und Bugstrahlruder. Die Bugstrahler, welche beim An- und Ablege-Manöver zum Einsatz kommen, schlagen mit 2500 kW zu Buche. Und dann wären da eben noch die Kühlcontainer, von denen die "EverCharming" 700 Stück mitführen könnte und bei denen mit 8 kW pro Container gerechnet wird. Also weiteren 5600 kW. Der Vergleich mit dem Stromverbrauch einer Kleinstadt ist daher nicht so ganz abwegig. 

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